Bewusstseinsarbeit und Psychedelika – zwischen Öffnung und Verantwortung
- Daniela Weber
- vor 6 Tagen
- 4 Min. Lesezeit
In den letzten Jahren erleben psychedelische Substanzen wie Ayahuasca, Psilocybin oder ähnliche Pflanzenstoffe einen starken Aufschwung. Sie werden als Abkürzung zu Erkenntnis, Heilung oder spirituellem Erwachen beworben.
Viele Menschen nehmen heute an Zeremonien teil – oft voller Vertrauen, Hoffnung und Offenheit.
Dieser Text möchte nicht verurteilen und nicht Angst machen. Er möchte informieren, differenzieren und zur Eigenverantwortung einladen.
Früher: Warum diese Wege geschützt waren
In traditionellen Kulturen waren bewusstseinsverändernde Pflanzen kein frei zugängliches Erfahrungsangebot. Sie wurden eingebettet in:
jahre- bis jahrzehntelange Schulungswege
strenge Initiationen
klare spirituelle Landkarten (was begegne ich? Wie ordne ich es ein?)
stabile soziale Einbettung
lange Phasen der Integration nach der Erfahrung
Die leitenden Schamanen oder Meister galten nicht als „besonders erleuchtet“, sondern als psychisch stabil, geerdet und dienend. Die Substanz war niemals der Weg – sie war ein Werkzeug innerhalb eines tragfähigen Gefässes.
Heute: Offenheit ohne Gefäss
Heute erleben wir häufig das Gegenteil:
kurze Ausbildungen oder gar keine
fehlende psychologische Grundkenntnisse
keine sorgfältige Einschätzung der Teilnehmenden
wenig oder keine Nachbetreuung
spirituelle Idealisierung statt nüchterner Verantwortung
Was früher geschützt war, ist heute oft kommerzialisierte Erfahrung.
Wo liegt die tatsächliche Gefahr?
Die grösste Gefahr liegt nicht primär in der Substanz selbst, sondern in dem, was sie auslöst – und wie wenig darauf vorbereitet wird.
Auf psychologischer Ebene können psychedelische Substanzen folgendes bewirken:
die gewohnte Ich-Struktur auflösen
innere Filter ausser Kraft setzen
unbewusste Inhalte ungeordnet an die Oberfläche bringen
vorhandene psychische Dispositionen massiv verstärken
Bei manchen Menschen kann dies zu:
Realitätsverlust
Identitätsverwirrung
spiritueller Überhöhung
Grössenfantasien
langfristiger Instabilität
führen.
In der Psychologie spricht man hier von spiritueller Inflation: Archetypische Kräfte (z. B. das Bild des Göttlichen, des Erlösers, des Erwachten) werden nicht symbolisch erlebt, sondern wörtlich auf die eigene Person bezogen.
Spirituelle Sprache – sachlich übersetzt
Viele Menschen beschreiben diese Prozesse mit Begriffen wie:
„Die Aura wird geöffnet“
„Energien haften sich an“
„Etwas Fremdes übernimmt“
Unabhängig von der individuellen Deutung lässt sich dies nüchtern so beschreiben:
psychische Schutzmechanismen sind vorübergehend ausser Kraft
unverarbeitete Schattenanteile drängen ungefiltert nach oben
das Ich ist nicht stabil genug, diese Inhalte zu integrieren
innere Bilder, Impulse und Gefühle übernehmen zeitweise die Führung
Das Erlebte fühlt sich absolut real an – ist aber nicht automatisch Ausdruck von Reife oder Wahrheit.
Warum gerade Grössenwahn so häufig ist
Wenn Orientierung, Halt und Ich-Grenzen wegfallen, greift die Psyche oft zum stärksten Gegenpol:
Allmacht statt Ohnmacht.
Spirituell klingt das dann wie:
„Ich bin eine göttliche Inkarnation“
„Ich habe Zugang zu höherem Wissen“
„Andere sind noch nicht so weit“
Diese Zustände sind kein Zeichen von Erwachen, sondern oft ein Hinweis auf fehlende Erdung und Integration.
Echte Reife zeigt sich anders
Tiefe Bewusstseinsarbeit macht Menschen in der Regel:
demütiger
mitfühlender
präsenter
alltagstauglicher
verantwortungsvoller
Nicht lauter, nicht abgehobener, nicht missionarischer.
Alles, was Menschen dauerhaft von ihrem Menschsein entfernt, sollte sehr kritisch hinterfragt werden – egal wie spirituell es klingt.
Meine eigene Erfahrung mit psychedelischen Substanzen
Mir ist es wichtig zu betonen, dass meine Haltung nicht aus Theorie oder Urteil, sondern auch aus eigener Erfahrung gewachsen ist. Ich habe mir über viele Jahre hinweg ein persönliches Bild gemacht (auch in meinem beruflichen Alltag knapp 8 Jahre lang in einer Psychiatrischen Klinik) – und gerade diese Erfahrungen haben meine heutige Klarheit geprägt.
1. Erfahrung – Beobachtung von aussen (24 Jahre alt)
In meinen frühen Zwanzigern begegnete mir eine junge Frau, die weinend und zutiefst verstört um Hilfe bat. Sie war kurz zuvor aus Indien zurückgekehrt, wo sie bei einem indischen Guru eine bewusstseinsverändernde Substanz eingenommen hatte. Diese hatte bei ihr massive Symptome ausgelöst. Sie beschrieb ein inneres Brennen, als würde sie innerlich verbrennen.
Schockiert und verunsichert riet ich ihr, dringend medizinische Hilfe im Universitätsspital Zürich aufzusuchen. Sie erzählte mir, dass sie bereits dort gewesen sei – man habe nichts feststellen können. Trotz fehlender medizinischer Befunde war ihr Zustand für mich eindeutig: Sie wirkte psychisch und körperlich in einem hochgradig instabilen, beängstigenden Zustand.
Diese Begegnung hat sich tief in mein Bewusstsein eingeprägt.
2. Erfahrung – Eigene Grenzerfahrung mit Haschisch (27 Jahre alt)
Mit etwa 27 Jahren inhalierte ich – ohne je zuvor geraucht zu haben – drei tiefe Züge einer Haschisch-Zigarette. Was folgte, erlebte ich als zutiefst traumatisch.
Ich hatte eine intensive Halluzination: Ich sah eine Kröte auf mich zuspringen. Gleichzeitig baute sich ein derart starker Druck in meinem Kopf auf, dass ich panische Angst bekam, eine Hirnblutung zu erleiden. Mein damaliger Partner lag entspannt neben mir und nahm meine Panik nicht wahr – für ihn war der Zustand angenehm und ruhig.
Für mich hingegen war klar: Ich würde diese Substanz nie wieder anrühren.
3. Erfahrung – Mikrodosierung von Fliegenpilz (2023)
Im Jahr 2023 nahm ich über einen Zeitraum von 21 Tagen Fliegenpilz in Mikrodosen ein. Auch diese Erfahrung führte für mich zu keiner stimmigen, nachhaltigen Integration. Nach Abschluss dieser Phase war für mich innerlich klar, dass auch dieser Weg für mich beendet ist.
4. Erfahrung – Ayahuasca-Zeremonie (2024)
Meine letzte Erfahrung machte ich 2024 in einer Ayahuasca-Zeremonie, bei der ich eine halbe Dosis einnahm. Die Wirkung zeigte sich vor allem körperlich – in einer Intensität, die ich als sehr unangenehm erlebte. Glücklicherweise klangen die Symptome nach einigen Stunden wieder ab.
Doch diese Erfahrung führte zu einer klaren inneren Entscheidung:
Ich werde KEINE bewusstseinsverändernden Substanzen mehr einnehmen.
Meine heutige Haltung:
Diese Erfahrungen haben mich nicht verschlossen, sondern achtsamer, langsamer und verantwortungsvoller gemacht.
Für mich steht heute fest:
Bewusstsein wächst NICHT durch Abkürzungen, sondern durch Reife, Zeit und Integration.
Eine Einladung zur Verantwortung
Dieser Text ist eine Einladung:
sich umfassend zu informieren
die eigene psychische Stabilität ehrlich einzuschätzen
Angebote kritisch zu prüfen
Integration höher zu gewichten als Erlebnis
langsame, verkörperte Wege nicht zu unterschätzen
Der Text dient der Aufklärung und ersetzt keine medizinische oder psychotherapeutische Beratung.




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